Ein Fastentuch für die Stadtkirche Heidelberg

violette Stoffe mit neongrüner Kante im Kirchenraum
violette Stoffe mit neongrüner Kante vor dem Altar der Stadtkirche in Heidelberg - eine Idee nimmt Gestalt an

 

Von der Ausschreibung des Wettbewerbs bis zur Umsetzung. Das Fastentuch für die Stadtkirche „Heilig Geist“ in Heidelberg

1. Die Ausschreibung. Erste Ideen für ein zeitgenössisches Fastentuch

„Fasten für die Augen“, ein neuer und unverschleierter Blick auf das Leben Christi, so die Ausschreibung. Eine spannende Vorstellung!

Schon beim Lesen schälte sich eine Idee heraus. Ein Fastentuch mit einem abstrakten Bild, das sich bei jedem Luftzug ändert. Violette Stoffe, die sich gegenseitig in ihrer Farbe ergänzen, steigern und Farbtöne des Raumes aufgreifen. Verdichtung, die durch Überlagerung entsteht und Konzentration sichtbar macht. Ein Spiel mit der Perspektive durch variable Proportionen der sich überlagernden Flächen...

die erste Stoffauswahl frei aufgehängt
erste Versuche: verschiedene Stoffe, mit denen Beate Baberske in der Paramentik experimentiert

2. Der Entwurf. Klarheit und Ruhe in einer Barockkirche

Feierlich, ausdrucksvoll, bewegt-dynamisch, so wirkt die katholische Stadtkirche in Heidelberg auf mich. Große Prachtentfaltung, wie es sich für eine barocke Kirche gehört, glücklicherweise nicht überladen, die weißen Wände empfinde ich als sehr angenehm. Eine moderne Altar-Insel aus weißem Marmor fügt sich charmant in das Ambiente und setzt trotzdem einen starken Akzent.

Die Ausschreibung der Diözese zu einem Fastentuch, zwischen Altar und Hochaltar platziert, das nicht aus blickdichtem Material und außerdem nachhaltig ist, weil es über mehrere Jahre oder Jahrzehnte verwendet werden kann, forderte mich heraus.

Das Fastentuch soll eine Installation der heutigen Zeit werden, kein Rückblick auf die Vergangenheit. Mein Entwurf: Ein Gegenstück zum Barock mit seinem Überfluss und seiner Überladenheit, der Überfluss wird ein Stück weit weggenommen. Durch insgesamt vier transparente, unterschiedlich große, sich überlagernde Stoffe, deren Farben und Bewegungen lässt sich das Geheimnis des Dahinter erahnen. Aus Erfahrung weiß ich, dass durch den sogenannten "Moirée-Effekt" immer neue Strukturen im Lufthauch der transparenten Bahnen entstehen. So kann der Blick in die bewegten Tücher das Auge entspannen und das „Fasten für die Augen“ gelingen.

Violett ist die Farbe der Fastenzeit. Vier verschiedenfarbige Stoffe, von dunkelblau bis fliederfarben, werden ohne Abstand hintereinander gehängt. Das Dunkelblau findet sich in dem Altarbild wieder. Es wandelt sich durch künstliches Licht in der Kirche und Gelb-Töne hinter den Tüchern in ein Violett.

 

violette Stoffe mit neongrüner Kante im Gegenlicht
im Gegenlicht entsteht bei der Überlagerung von transparenten Stoffen ein sogenannter Moireé-Effekt und das neongrüne Garn der Stoffkante beginnt zu leuchten

Ein neongrüner Rand nimmt das Grün der unverwechselbaren Säulenkapitelle auf. Grün als Sinnbild für Neubeginn, Wachstum und Entwicklung steht aufgrund unserer Seherfahrung im Bezug zum Neubeginn der Natur im Frühling, zum Leben, zur Auferstehung. Ich setze es bewusst gegen das Lila ein, das Trauer und Leid im Vorfeld des Karfreitags farblich begleitet. Indirektes Licht, vor allem in den Abendstunden, bringt die grünen Linien, die erst auf den zweiten Blick wahrgenommen werden, zum Leuchten.

3. Die Durchführung. Vom Entwurf zur Arbeitsprobe

aufgerollte Stoffe in einer Schachtel im Miniformat
alle Stoffe der raumgreifenden Installation in einer Schachtel

 

Der Entwurf ist verschickt. Gespanntes Warten auf die Rückmeldung.

Die Mail zur Weiterarbeit kommt vier Wochen später. Geschafft! Die Jury lädt mich zur Konkretisierung meines Entwurfs ein, als eine von 10 Künstler*innen.

Eine Materialprobe sowie detaillierte Ausführungen zur praktischen Umsetzung sind zwei von insgesamt zehn Fragestellungen, auf die wir jetzt antworten sollen. Die eine oder andere Frage haben wir uns schon bei der ersten Phase gestellt, deshalb fällt die "Feinarbeit" nicht so schwer. 

Diesmal liegt der Fokus auf dem Handwerklichen. Das Fastentuch als Werkstück - wir fertigen ein maßstabsgetreues Modell an, inklusive Stangen und Seilen, das erfordert Feinmotorik! Die Forderung nach der brandschutzhemmenden Ausrüstung mit Brandschutzklasse ist neu, glücklicherweise lässt sich auch darauf eine Antwort finden. Wären da nicht die langen Lieferzeiten!

Das Konzept der Lagerung müssen wir jetzt konkretisieren, wie dick wird die Rolle Stoff wirklich? Wie groß muss die Schachtel sein, in der das gefaltete Tuch die meiste Zeit aufbewahrt wird? Wir montieren die Stangenkonstruktion gedanklich zusammen und wieder auseinander, befestigen Seile, falten das Mustertuch und rollen es auf Garnhülsen, alles im Puppenstubenformat. 

Die intensive und langjährige Teamarbeit im Textil-Atelier kommt uns hier zugute. Seit mehr als 20 Jahren arbeite ich als künstlerische Leiterin mit meiner handwerklich versierten Mitarbeiterin Rosalia Penzko zusammen. Heidemarie Freitag hält uns den Rücken frei. So finden wir schnell und praxisnah unsere Antworten - manchmal reicht da schon ein Blick, manchmal ist ein Versprecher oder eine schlaflose Nacht der Auslöser für kreative Ideen. 

Ein Monat Zeit bleibt uns für alle Vorbereitungen. Die letzte Hürde ist der Versand, der Messner nimmt das Paket entgegen. Geschafft! Jetzt 

halb aufgerollter Stoff mit Schachtel daneben
in Miniformat klappt das Aufrollen und Verpacken, die Brandschutzausrüstung wirkt sich nicht negativ aus

Wenn ich die Wirkung eines Raumes mit Stoff verändern will, brauche ich Fläche, viel Fläche.  Bei der Jesuitenkirche komme ich auf acht Meter für die breiteste Stoffbahn, allerdings ist eine handelsübliche Stoffbahn maximal drei Meter breit. Wie groß ein Webstuhl dafür sein muss, mag ich mir lieber nicht vorstellen, in meiner Ausbildung lagen die Webbreiten nicht über 1,50 m und das war schon eine ordentliche Größe.

Nahtstellen sind bei diesem Fastentuch also unvermeidbar - ich beziehe sie in die Gestaltung ein. Wo eine Naht ist, braucht es einen Faden, der Stoff liegt dicker und wirkt automatisch dichter als der Rest der Fläche. Es entstehen Linien auf der großen Fläche, die den Gesamteindruck beeinflussen. Deshalb entscheide ich mich dafür, diese Linien farblich hervorzuheben. Im barocken Raum mit vielen goldenen Akzenten entdecke ich grüne Elemente an den Säulen-Kapitellen. Das ist es! Dem schweren, düsteren Violett ein leichtes, lebendiges Grün entgegensetzen! Der neongrüne Faden in der Schublade wartet schon lange auf seinen Einsatz. Jetzt wird er zum entscheidenden Detail der großen Fläche.

Für die nachhaltige Nutzung des Tuches soll es gelagert werden. Acht Meter Stoff aufgerollt hinter dem Altar lagern? So geht das nicht. Ich entscheide mich für die Lagerung in gefalteter Form. Die Nähte werden also zu Knickstellen, die Breite auf ein Drittel reduziert und bekommt Maße, die ein Handling realistisch erscheinen lassen.

Eine mitgelieferte Faltanleitung erleichtert vor Ort das fachgerechte Auseinander- und Zusammenfalten der breiten Bahnen. Das  Aufrollen der Bahnen auf Papprollen verhindert Knitterfalten.

Die Stange für ein acht Meter breites Tuch passt nicht in einem Stück in die Schachtel, also muss auch sie zerlegbar sein. Da sie bei dieser Breite ohnehin durchhängen würde, entscheide ich mich für drei Aufhängepunkte. Muffen verbinden die Stangenstücke miteinander, alles wird nummeriert, damit die richtige Reihenfolge auch im zweiten Jahr wieder nachvollziehbar ist. Ein ausgeklügeltes System aus Seilen und Schlaufen verbindet mehrere Stangen miteineinander. Der Entwurf sieht insgesamt vier Lagen Stoff vor, die in unterschiedlichen Höhen voreinander platziert sind. Trotz Plan und Konzept bleibt die Montage in dieser Dimension eine Herausforderung. Aber sie ist möglich, dessen sind wir uns sicher. Schließlich haben wir das System schon mehrfach erfolgreich eingesetzt.

Hinter allen Fragen haben sitzt ein Häkchen, die Unterlagen sind vollständig, weiße Stoffhandschuhe, eine zerlegbare Musterstange sowie ein Imbus-Schlüssel ergänzen die konkretisierten Entwürfe. Fertig ist das Paket. Ende September geht alles auf den Weg nach Heidelberg. und es wird spannend, was die Jury dazu sagt.

4. Das Happy End. Die freudige Nachricht

die Arbeitsprobe im Kirchenraum
Aus der Schachtel in die Kirche: Die Farben der Stoffe verbinden und ergänzen sich mit den Farben vor Ort.

Zwei Wochen später erreicht mich Montag Morgen eine kurze Email mit der Bitte um Rückruf, mein Handy zeigt einen Anruf von einer unbekannten Nummer. Ich rufe zurück. Wie immer auf dem Sprung, der Termin muss warten. Dr. Katharina Seifert, Referentin für Kunst, Kultur und Kirche der Diözese Freiburg, gratuliert mir zum Gewinn des Wettbewerbs. Ich muss mich setzen vor Freude und Überraschung.

„Wir dürfen Ihnen die großartige Nachricht vermitteln, dass aus insgesamt 80 eingereichten Wettbewerbsentwürfen und den zuletzt zehn im Wettbewerb zur näheren Ausarbeitung verbliebenen Arbeiten Ihr Beitrag den ersten Preis erhält. …“, so der Text aus dem offiziellen Schreiben, das ein paar Tage später per Email kommt.

Kurz darauf lerne ich Frau Dr. Seifert und Dekan Alexander Czech per Zoom-Meeting kennen. Ich erfahre, dass es eine Arbeitsgruppe gab, die sich intensiv mit den Entwürfen der Künstler*innen vor Ort in der Jesuiten-Kirche auseinandergesetzt und sich einstimmig für meine Arbeit entschieden hat. Eine tolle Anerkennung! 

Dann, einen Monat später, die Besichtigung der Kirche vor Ort. Die Altarinsel, der barocke Hochaltar, die Lichtverhältnisse, die Wirkung der Kirche,  jetzt kann ich es mit allen Sinnen wahrnehmen.

Besucher kommen nur bis zur Altarinsel, die vor dem Hochaltar platziert ist. So können die Stoffbahnen nur gesehen, nicht berührt werden. Das habe ich im Grundriss so nicht erkannt. Ich stelle mir die Installation zwischen den beiden Altären vor mit den Bahnen bis zum Boden, wie sie leicht schwingen, sich mit ihren Farben und Schattierungen bewegen, den Hochaltar erahnen lassen.

Der Mesner, Jakob Hoffmann, erweist sich als gelernter Innenausstatter, interessiert sich als Profi für die Stoffe und ihre Ausstattung. Er wird als kompetente Kraft für Lagerung, das Auf- und Abhängen mein Ansprechpartner sein.

Ende Januar sind endlich alle Stoffe da, jetzt laufen die Nähmaschinen heiß und in der Waschküche tropfen die nassen Stoffe. Die Stangen werden nummeriert und abgelängt, Seile bestellt. Das Auto wurde ausgemessen und bestellt, die Rollen mit 2,70 m Länge haben Platz, die Kiste muss zusammengefaltet mit.

 

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